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Krefelder Mundart

Gedanken über die Literaturfähigkeit der Mundarten

Der Krefelder Klaus Otten, als Mundartschreiber bekannt unter dem Pseudonym Klaus Krüllsburg, versteht seine Gedanken über die Literaturfähigkeit der Mundarten als "Anregungen zu einer Diskussion". Den Aufsatz veröffentlichte Klaus Otten in der Zeitschrift "der Niederrhein" des Vereins Niederrhein, Ausgabe April 2001.

Jede Provinz liebt ihren Dialekt, denn er ist doch eigentlich das Element, in welchem die Seele ihren Atem schöpft.
Goethe

Das renommierte Krefelder Jahrbuch "die Heimat" druckte von 1994 an in der Sparte "Mundart" sechs Beiträge der pensionierten Studienrätin Paula Coerper-Berker über das Krefelder Platt ab. In drei Beiträgen wies sie auf "(fast) vergessene Wörter und Wendungen", in drei weiteren ging sie der Frage nach: "Wo kömmt dat Wooert mar bluoss vandänn?" Mit gründlichern Fleiß zeigte sie an vielen Wörtern, dass sie Jahrtausende alt sind und Wurzeln in ganz Europa, ja sogar in Asien haben.

Gleich in ihrem ersten Artikel im Heft 65 auf Seite 182 schrieb sie ganz locker und wie selbstverständlich: "Und da Platt ja keine Literatursprache ist, sondern in der alltäglichen Verständigung von Mensch zu Mensch ihr eigentliches Leben hat,..."

Seitdem ich diese Aussage kenne, gehe ich der Frage nach, ob es Mundartliteratur gibt. Erster Versuch: Ich wollte mit der oben genannten Autorin ein Streitgespräch führen. Das kam nicht zustande, die Autorin trooek sech wie naat Holt. So blieb meine Frage unbeantwortet: Kann eine Sprache mit so langer Vergangenheit nicht durchaus literaturfähig sein?

Interessant dazu ein Blick in "die Heimat". Darin gibt es in jedem Heft eine Sparte "Theater, Kunst, Musik und Literatur" sowie eine weitere Sparte "Mundart, Gedichte, Erzählungen". Die Redaktion bringt also Mundartbeiträge nicht unter Literatur; obwohl doch Gedichte und Erzählungen literarische Formen sind. Widerspricht sie sich nicht selbst?

Anlässlich eines kurzen Besuches bei unserem leider verstorbenen Schriftleiter Dr. Wolfgang Schmidt - ich brachte ihm ausgewählte Mundartgedichte für die nächste Ausgabe "der Niederrhein" - fragte ich ihn, der ein anerkannter Lyriker war: "Ist Mundart Literatur?" Sofortige rigorose Antwort: "Nein!" Leider kam es auch mit ihm nicht mehr zu einer Auseinandersetzung.

Über 20 Jahre veröffentliche ich Mundartbeiträge, Glossen, Anekdoten, Erzählungen und Gedichte im Lokalteil einer Krefelder Tageszeitung. In dem genannten Zeitraum sind alle Mundartbeiträge, auch Würdigungen von Lesungen oder Theateraufführungen, immer als Farbtupfer unter Lokalnachrichten erschienen, niemals im Krefelder Feuilleton. Selbstverständlich orientiert sich daran auch das Honorar.

Am 5.7.95 sprach Professor Gert Kreutzer vom Institut für Nordische Philologie der Universität Köln im Krefelder Kunstverein, einer Institution, die sich hauptsächlich mit Malerei und Plastik beschäftigt. Er stellte dort den führenden Schriftsteller lslands des 20. Jahrhunderts vor. Zu Beginn seiner Ausführungen hob der Professor ein Buch hoch und sagte: "Dass das Literatur ist, sehen Sie daran, dass es zwischen zwei Buchdeckel geheftet ist." Folgt man dieser Definition, gibt es eine Unmenge von Mundartliteratur, auch wenn manches Büchlein am Rücken nur geleimt und nicht geheftet ist.

Es gibt Kinderliteratur, Jugendliteratur, Kriminalliteratur, Erbauungsliteratur, Fachliteratur, schöngeistige Literatur und sogar Schmutz- und Schundliteratur, und dann soll es keine Mundartliteratur geben? Im "Kleinen Literarischen Lexikon" der Sammlung Dalp heißt es: "Literatursprache überwindet die Mundarten" (S. 89). An anderer Stelle findet man den Satz: "Das Kriterium eines Sprachkunstwerkes ist der Stil, der Einsatz der Vollkraft der Sprache, die gemüthafte sprachliche Gestaltung" (S. 86). Mundarttexte zeichnen sich häufig durch ihre gemüthafte Sprache und ebensolche Inhalte aus. Also doch Mundartliteratur?

Die Krefelder Volkshochschule kündigt Mundartveranstaltungen in ihrem Haus immer unter der Sparte "Kulturelle Bildung - Literatur" an. Ist das nicht ein Hinweis?

Auch wenn Mundartschreiber sich gelegentlich daran machen, ein Gedicht von Hesse, Rilke oder Goethe in Mundart zu übertragen, so stellen sie sich selbst nicht auf eine Stufe mit diesen Koryphäen. Hubert Busch, Mundartautor in Viersen, sagte einmal: "Mit der Literatur ist es wie mit einem Schwein: Es besteht nicht nur aus Filet, Schinken und Kotelett, es hat auch Eisbein, Pfötchen, Rippchen, Schweinebacke etc.!"

Ich meine, dass Mundarttexte kleine Literatur sind. Aber sind sie damit nicht die wichtige Eingangsstufe zur großen Literatur? Kann man etwa Menschen, die mit Kerzenlicht, Mörser und Steinofen leben, einen CD-Player oder gar einen PC verkaufen? Eine Entwicklung im deutschen Literaturbetrieb halte ich jedenfalls für bedenklich: Literatur ist besser; je höher die Ansprüche sind, die an den Leser gestellt werden, beste Literatur ist die, die von keinem Leser verstanden wird.

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